Duldungsverpflichtung gemäß § 45 zweiter Satz EisbG keine Enteignung iSd EisbEG – Entschädigung verneint

Dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.3.2022 (Ra 2022/03/0044) ist eine Aussage zu entnehmen, die für das Thema Entschädigung für Enteignung von besonderer Bedeutung ist und einer näheren Auseinandersetzung bedarf.

Gegenstand der mittels außerordentlicher Revision an den VwGH herangetragenen Fragestellung ist zusammengefasst, ob es eine (analoge) Entschädigungspflicht für Maßnahmen nach § 45 EisbG gibt.

§ 45 EisbG lautet wie folgt:

Die innerhalb des Gefährdungsbereiches durch Naturereignisse (wie Lawinen, Erdrutsch, natürlicher Pflanzenwuchs) eingetretenen Gefährdungen der Eisenbahn (§ 43 Abs. 1) sind vom Eisenbahnunternehmen zu beseitigen. Wenn der Verfügungsberechtigte hiezu seine Zustimmung verweigert, so hat ihm die Bezirksverwaltungsbehörde auf Antrag des Eisenbahnunternehmens die Duldung der Beseitigung aufzutragen.

Zum Sachverhalt und Hintergrund der Entscheidung:

Dem Revisionswerber wurde gemäß § 45 EisbG die Duldung der Beseitigung der durch Pflanzenwuchs eingetretenen Gefährdung der Eisenbahn auf näher genannten Grundstücken im Bereich der Bahnstrecke Klagenfurt ‑ Weizelsdorf nach Maßgabe eines Lageplanes und eingeschränkt auf die in diesem Bereich in der Natur mit rotem Farbspray markierten Bäume aufgetragen.

Die im Lageplan im dort festgelegten Korridorbereich ausgezeigten Bäume stellten nach Ansicht der belangten Behörde eine Gefährdung der Eisenbahn dar.

Der Revisionswerber argumentierte, dass es sich bei der zu duldenden Maßnahme um einen Eigentumseingriff handle, weshalb die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten gewesen seien. Das Verwaltungsgericht verneinte einen unverhältnismäßigen Eingriff und  entschied, dass kein Anspruch auf Entschädigung bestehe. Das EisbG sehe eine Entschädigung für die Entfernung des forstlichen Bewuchses innerhalb des Gefährdungsbereichs nicht vor.

Anlässlich der gegenständlich an den VwGH herangetragenen außerordentlichen Revision zur Frage, ob in einem Fall wie dem vorliegenden, wo der als Gefährdungsbereich definierte und „abzuholzende“ Bereich für den Revisionswerber als Eigentümer „faktisch unbenutzbar“ werde, ein Anspruch auf Entschädigungspflicht für die „faktische Enteignung“ bestehe, setzte er sich mit der Frage der Entschädigung für Maßnahmen nach § 45 EisbG auseinander und verneinte diese im Ergebnis mit nachfolgend dargelegter Argumentation:

Gemäß § 45 erster Satz EisbG sind innerhalb des Gefährdungsbereichs durch Naturereignisse (wie u.a. natürlicher Pflanzenwuchs) eingetretene Gefährdungen der Eisenbahn vom Eisenbahnunternehmen zu beseitigen. Verweigert der Verfügungsberechtigte seine Zustimmung hiezu, hat ihm die Behörde auf Antrag des Eisenbahnunternehmens die Duldung aufzutragen (zweiter Satz). Da der Gefährdungsbereich durch das Gesetz metermäßig nicht begrenzt wurde, werden für die Festlegung des Korridors Sachverständigengutachten (hier: eisenbahnrechtliches und forstfachliches Gutachten) eingeholt. Den Zweck der Regelung beachtend, sei der Gefährdungsbereich iSd § 43 Abs. 1 EisbG derart festzulegen, dass eine Gefährdung der Eisenbahn samt Betrieb und Verkehrsführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne.

In der Folge stellte der VwGH klar, dass die dem Eisenbahnunternehmen zur Erreichung dieses Ziels aufgetragenen Beseitigungsmaßnahmen nach § 45 erster Satz EisbG im Lichte des verfassungsmäßigen Eigentumsschutzes zu sehen sind, weshalb derartige Maßnahmen streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gebunden sind.

Gefährdungen durch natürlichen Pflanzenwuchs innerhalb des Gefährdungsbereichs einer Eisenbahnanlage sind weiters vom EisbG dem Regime des § 45 EisbG zugewiesen, begründen also einen Duldungsanspruch (aus Sicht des betroffenen Grundstückseigentümers somit eine Duldungsverpflichtung).

Eine wie vom Revisionswerber vorgebrachte „faktische Unbenützbarkeit“ verneinte das Verwaltungsgericht. Der VwGH hielt dazu fest, dass eine bestimmungsgemäße Nutzung durch das bekämpfte Erkenntnis auch nicht untersagt worden sei.

Darüber hinaus entschied der VwGH, dass es sich bei der Duldungsverpflichtung nach § 45 2. Satz EisbG nicht um eine Enteignung iSd EisbEG handelt und führte dazu aus, dass diese Verpflichtung unmittelbar aus dem Gesetz resultiere und insoweit der Umsetzung einer Legalservitut diene. Dem Erfordernis der Wahrung des Eigentumsschutzes werde vom Gesetz durch strikte Zweckbindung nach dem Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung getragen.

Die Leistung einer „Entschädigung“ für die gegebenenfalls mit der Duldung der Beseitigung verbundenen Nachteile sehe § 45 EisbG offenkundig deswegen nicht vor, weil das Gesetz solche Maßnahmen nicht als gegebenenfalls einen Entschädigungsanspruch auslösende Eigentumseingriffe ansehe. Der VwGH stellte in seiner Auseinandersetzung dabei einen Vergleich mit dem im 3. Teil geregelten Recht zur Enteignung nach Maßgabe des Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetzes an. Insbesondere die Bestimmungen der §§ 18b und 18c EisbG würden deutlich machen, dass in Ermangelung einer zivilrechtlichen Einigung mit dem Eigentümer des betroffenen Grundstücks die Durchführung eines Enteignungsverfahrens (und damit gegebenenfalls die Leistung einer Entschädigung) möglich sei, wobei § 18c EisbG die Frage der Entschädigung ausdrücklich anspreche, § 45 zweiter Satz hingegen nicht, sodass ein Entschädigungsanspruch für die Durchsetzung von Maßnahmen nach § 45 zweiter Satz EisbG zu verneinen sei. Etwas Unklarheit liefert zwar die abschließende Bemerkung (Rz 28), diese dient aber wohl als klarstellende Abgrenzung von Anpflanzungen und natürlichem Pflanzenwuchs.

Zusammengefasst soll unter anderem § 45 EisbG auf die Sicherung des Bestands schon errichteter und betriebener Eisenbahnen abzielen, ohne dass dazu eine ‑ gegebenenfalls mit der Leistung einer Entschädigung verbundene ‑ Enteignung erforderlich wäre.

Das Ergebnis – dass da lautet: das volle wirtschaftliche Risiko der Nachteile für die eine Eisenbahn gefährdende Naturereignisse wird auf den betroffenen Grundstückseigentümer überwälzt – ist in wertender Hinsicht für mich nicht ganz nachvollziehbar. Auch kann das ein oder andere Argument auf dem Weg zu diesem Ergebnis nicht hundertprozentig überzeugen:

Zum Einen kann es zunächst für die Frage einer Entschädigung dahingestellt bleiben, ob es sich um die Umsetzung einer Legalservitut handelt oder nicht. Denn es gibt durchaus Beispiele, wo der Gesetzgeber auch eine „Legalservitut“ entschädigt wissen wollte (siehe nur: § 111 Abs 4 WRG, der explizit auf die die Entschädigung regelnde Bestimmung des § 117 WRG verweist). Auch für die in § 11 und insbesondere auch § 13 Abs 2 oö StarkstromwegeG 1970 idgF normierten Rechte/Pflichten ist eine Entschädigung für  alle unmittelbar mit dem Bau, der Erhaltung, dem Betrieb, der Änderung oder der Beseitigung verbundenen Beschränkungen vorgesehen.

Für die Frage der Entschädigung kann es daher keine Rolle spielen, ob es sich um eine Legalservitut handelt oder nicht. Wenn der Vergleich (offenkundig) darauf abzielt, dass es auf die Möglichkeit einer zwangsweisen „Durchsetzung in einem Verfahren“ im Enteignungsweg ankommen soll, sei ebenfalls auf die oben beispielhaft zitierten Bestimmungen verwiesen, sodass sich aus diesem Vergleich alleine keine allgemeingültige Aussage treffen lässt. Außerdem gibt es neben dem Entzug des Eigentums durch Verwaltungsakt (Enteignungsbescheid) auch die sog. „Legalenteignung“ durch unmittelbare Anordnung im Gesetz (mwN etwa Probst, Grundeinlöse und Enteignung (2017), Rz 3.4.).

Zum Anderen hat bereits der VfGH ausgesprochen (vgl. nur VfGH 14.7.2020, G 202/2020 ua, V 408/2020 ua), dass der Gesetzgeber nicht dazu verpflichtet ist, eine Entschädigung vorzusehen und gravierende Einzelfälle eine Entschädigungspflicht begründen können. Im verwaltungsrechtlichen Weg (wie hier) ist die Ansicht des VfGH auch jedenfalls maßgebend. Es kann für die Beurteilung der Entschädigungsfrage somit auch nicht darauf ankommen, ob der Gesetzgeber eine Entschädigung vorgesehen und diese Frage explizit geregelt hat oder nicht.

Das Argument, wonach der Gesetzgeber die Verpflichtung nach § 45 zweiter Satz EisbG mangels Regelung im Gesetz nicht als einen eine Entschädigungspflicht auslösenden Eigentumseingriff ansieht, kann auch deswegen nicht überzeugen, da eine Rundschau in die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zeigt, dass eine Entschädigung auch dort zugesprochen wurde und wird, wo es eben keine ausdrückliche Regelung dazu gibt.

Dem VwGH ist (im Ergebnis) zuzustimmen, dass es sich bei den aus der Duldung der Beseitigungsmaßnahme resultierenden Vermögenseinbußen nicht um einen „durch eine Enteignung“ verursachten vermögensrechtlichen Nachteil handelt. Insofern ist es auch in rechtlicher Hinsicht konsequent und richtig, eine „Enteignung iSd EisbEG“ zu verneinen.

Nicht nachvollziehbar erscheint jedenfalls die vorgenommene Differenzierung dahingehend, ob es sich um eine Duldungsverpflichtung iZm der „Errichtung“ einer Eisenbahn oder dem gefahrlosen „Betrieb“ einer bestehenden Eisenbahn handelt – noch weniger mit dem Hinweis, weil das Gesetz eine Entschädigung nicht ausdrücklich anspricht. Denn die Errichtung einer für den Betrieb erforderlichen Einrichtung ist ja der uU bestehenden Entschädigungspflicht unterworfen:

Nach § 18c EisbG ist das Eisenbahnunternehmen berechtigt, von den Eigentümern von Grundstücken und Baulichkeiten die Duldung der Errichtung oder Anbringung von Oberleitungen, Haltevorrichtungen für die Oberleitung, von Signalen und sonstigen für den Betrieb einer Eisenbahn, für den Betrieb von Schienenfahrzeugen auf einer Eisenbahn sowie für den Verkehr auf einer Eisenbahn erforderlichen Einrichtungen (Trennschalter, Kabelzuleitungen, Sicherungs- und Schaltkasten, Haltestellenzeichen und dergleichen) ohne Enteignung und ohne Anspruch auf Entschädigung zu verlangen, soweit hiedurch nicht die bestimmungsgemäße Benützung des Grundes oder des Gebäudes erheblich beeinträchtigt wird. Diese Bestimmung setzt für ihre Anwendung eine aktive Handlung des Eisenbahnunternehmens voraus.

§ 43 Abs 1 EisbG regelt, dass im Gefährdungsbereich die Errichtung von Anlagen oder die Vornahme sonstiger Handlungen verboten ist, durch die der Bestand der Eisenbahn oder ihr Zugehör oder die regelmäßige und sichere Führung des Betriebes der Eisenbahn und des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf der Eisenbahn sowie des Verkehrs auf der Eisenbahn, insbesondere die freie Sicht auf Signale oder auf schienengleiche Eisenbahnübergänge, gefährdet wird. Auch diese Bestimmung stellt auf eine aktive Handlung ab.

§ 45 EisbG nimmt eine besondere Stellung im Vergleich mit diesen beiden Bestimmungen ein: Diese Bestimmung regelt die vis major-Fallkonstellation, bei der es an einer „aktiven Handlung“ fehlt, denn zum Einen wird keine „verbotswidrige Handlung“ vorausgesetzt und zum Anderen auch nicht an eine aktive „Errichtungstätigkeit“ durch das Eisenbahnunternehmen angeknüpft. Bei der in § 45 geregelten Fallkonstellation sind somit weder das Eisenbahnunternehmen noch der Verfügungsberechtigte bzw Grundstückseigentümer aktiv in irgendeiner Weise tätig geworden.

Wenn aber bereits für die Errichtung betriebsnotwendiger Einrichtungen lediglich bei weiter bestehender bestimmungsgemäßer Benützungsmöglichkeit ohne Enteignung und ohne Entschädigung vorgegangen werden darf, dann muss diese Wertung erst recht für den Fall gelten, wo sphärenunabhängig und ohne Zutun des Betroffenen Beseitigungsmaßnahmen notwendig werden, die dem gefahrlosen Betrieb dienen, die jedoch die bestimmungsgemäße Benützung auf Kosten der Gefahrenbeseitigung erheblich beeinträchtigen.

Auch, dass aus der Duldungsverpflichtung ein sich unmittelbar aus dieser Beschränkung ergebender vermögensrechtlicher Nachteil resultieren kann, der die Erheblichkeitsschwelle der Beeinträchtigung des bestimmungsgemäßen Gebrauches erreicht, kann nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden (mag auch in diesem konkreten Fall diese „Schwelle“ nicht erreicht worden sein). Im Übrigen sieht auch schon § 19 Abs 2 EisbG explizit vor, dass „ein zum Bau und zum Betrieb von Eisenbahnen berechtigtes Eisenbahnunternehmen Vorkehrungen zu treffen [hat], dass durch den Bau, Bestand oder Betrieb der Eisenbahn keine Schäden an öffentlichem und privatem Gut entstehen.“

Die Wertung des Gesetzgebers ist sohin dahingehend zu sehen, dass er eine Hintanhaltung von Schäden durch den Bestand oder Betrieb (auch) an privatem Gut statuieren wollte. Es erscheint mir vor dieser Wertung des Gesetzgebers daher wenig sachgerecht zu sein, das wirtschaftliche Risiko für „vis major“-Ereignisse (die keine der beiden Seiten verschuldet hat) nur einer Seite zur Gänze aufzuerlegen. Denn die Kostentragung durch das Eisenbahnunternehmen stellt schließlich keinen finanziellen Ausgleich von vermögensrechtlichen Nachteilen dar (weshalb auch die diesbezügliche Argumentation des VwGH nicht ganz nachvollziehbar ist).

Im Ergebnis sind der Entscheidung zwar klare Aussagen zu entnehmen, inhaltlich kann ich den angeführten Argumenten, mit denen einer Entschädigung entgegentreten wird, nicht hundertprozentig folgen.